Zwei Jahre TRBS 2121-1 – Die Bundesinnung zieht Bilanz

Schon im Vorfeld ihres Inkrafttretens hatte die Neuauflage für Diskussion und Kritik gesorgt. Nicht zuletzt deshalb, weil sie für die Absturzsicherung beim Auf-, Um- und Abbau von Gerüsten eine verschärfte Systematik vorschreibt, die über die gesetzlichen und behördlichen Vorgaben aus Arbeitsschutzgesetz und Betriebssicherheitsverordnung hinausgeht. Technische Schutzmaßnahmen – als solche ist etwa ein Montagesicherungsgeländer (MSG) vorgesehen – werden zur Regel gemacht, während die im Gerüstbau verbreitete und bewährte Verwendung persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) nur noch ausnahmsweise zulässig sein soll. In der Umsetzung führt diese Systematik zu einer grundlegenden Änderung der Abläufe in Logistik und Montage.

Die rechtliche Besonderheit der TRBS 2121-1 besteht darin, dass sie trotz der erwähnten Verschärfung keine verpflichtende Rechtsvorschrift, sondern lediglich eine Empfehlung darstellt. Das bedeutet, dass ihr Adressat, der Arbeitgeber, sie zwar zu beachten hat, es ihm aber freisteht, von ihren Anforderungen abzuweichen (vgl. § 4 Abs. 3 Betriebssicherheitsverordnung). Setzt der Arbeitgeber die Vorgaben der TRBS um, greift zu seinen Gunsten die rechtliche Vermutung, dass er damit die Anforderungen des Arbeitsschutzes erfüllt hat. Weicht er hingegen von ihnen ab, muss er sicherstellen, Sicherheit und Gesundheitsschutz seiner Beschäftigten in vergleichbarer Weise, also durch alternative Schutzmaßnahmen, zu gewährleisten. Ob und inwieweit der Arbeitgeber die TRBS anwendet oder auf andere Weise dem Arbeitsschutz Rechnung trägt, bleibt also ihm überlassen.

Auswirkungen der TRBS 2121-1 auf das Gerüstbauer-Handwerk

Belastbare Aussagen über das Maß der Auswirkungen der TRBS auf unser Handwerk lassen sich leider nicht treffen.

Die Rückmeldungen der Mitglieder zum Umgang mit der TRBS und den durch sie empfundenen Belastungen fallen sehr unterschiedlich aus.

Teilweise stellen die Betriebe den Absturzschutz überwiegend mittels PSAgA sicher, weil sich dies für sie über lange Zeit bewährt hat, teilweise haben sie sich auf die Verwendung technischer Schutzmaßnahmen, wie des MSG, eingestellt. Manche Betriebe berichten, durch die Auswirkungen der TRBS 2121-1 in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht zu sein, andere vermelden hingegen nur geringe Belastungen und Einbußen.

Sehr wohl möglich ist hingegen eine klare Aussage zur Art der Auswirkungen. Typische Probleme, die sich für die Mitgliedsbetriebe aus der TRBS 2121-1 ergeben haben, sind insbesondere die folgenden:

  • Unsicherheit in Bezug auf die Angebotskalkulation: Wie sollen Mehrkosten, etwa aufgrund technischer Schutzmaßnahmen, in den Vertrag mit dem Auftraggeber einfließen? Sollte der Gerüstbauer hierzu gesonderte Leistungspositionen vereinbaren? Sollten die Mehrkosten als Nachtrag geltend gemacht werden?
  • Wettbewerbsnachteile aufgrund der nicht einheitlichen Anwendung der TRBS 2121-1 innerhalb des Bieterkreises bei Ausschreibungen
  • Vertragsrechtliche Streitigkeiten mit Auftraggebern und Gerüstnutzern, insbesondere im Zusammenhang mit Absturzschutz und Gerüstzugängen
  • Unsicherheit bei Auswahl und Investition in Bezug auf die zahlreichen auf dem Markt vertretenen Ergänzungsbauteile für Gerüstsysteme
  • Unsicherheit bei der Wahl von Absturzschutzmaßnahmen

Häufig lassen sich Probleme, insbesondere vertragsrechtlicher Natur, durch Kommunikation mit dem Auftraggeber lösen, notfalls nach Einholung rechtlicher Beratung. Beispielsweise kommt es nicht selten zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Auftraggeber, weil dieser der Ansicht ist, der Gerüstbauer schulde aufgrund der TRBS stets einen Treppenturm als vertragliche Nebenleistung. Hier geht es darum, dem Auftraggeber den Unterschied zwischen der vertraglich geschuldeten Leistung und den Pflichten des Arbeitsschutzes bewusst zu machen, denn es handelt sich dabei um zwei Bereiche, die rechtlich strikt voneinander zu trennen sind.

Allerdings gibt es auch Probleme, die sich nicht so leicht lösen lassen, weshalb es verfehlt wäre, die Situation zu verharmlosen: Da, wo auf Bieterseite die verantwortungsbewusste Anwendung der TRBS auf völlige Gleichgültigkeit und Ignoranz trifft, kann es zweifelsohne zu unfairen Wettbewerbsvorteilen in Ausschreibungen kommen.

Seine Ursache hat dieser Zustand in der systematischen Unzulänglichkeit der TRBS. Welche Folgen es hat, verschärfte Arbeitsschutzmaßnahmen vorzugeben, diese aber nicht einheitlich und allgemeingültig festzulegen, haben die Arbeitsschutzbehörden bei der Durchsetzung der TRBS nicht bedacht – und damit ein Schlupfloch für schwarze Schafe geschaffen, sich im Wettbewerb besserzustellen.

Gewissermaßen ist die Unverbindlichkeit der TRBS 2121-1 Fluch und Segen zugleich. Einerseits ermöglicht sie es dem Gerüstbauer, da, wo er es für angemessen hält, von den strengen Vorgaben der Vorschrift abzuweichen und somit das letzte Wort über einen wirksamen, praxisgerechten Arbeitsschutz im eigenen Betrieb selbst zu sprechen. Gleichzeitig eröffnet dieser Entscheidungsspielraum aber auch das Potenzial, den Arbeitsschutz unbehelligt außen vor zu lassen und sich dahinter zu verstecken, dass bestimmte Schutzmaßnahmen nicht verbindlich vorgeschrieben beziehungsweise im konkreten Fall nicht anwendbar sind.

Unser Eindruck aus der Beratungspraxis ist aber, dass die Mitgliedsbetriebe die Vorgaben der TRBS 2121-1 als Arbeitsschutzmaßstab ernst nehmen und sich trotz der bestehenden Unsicherheiten mit der Situation arrangieren.

Bedeutung der TRBS 2121-1 in der Verwaltungspraxis der Arbeitsschutzbehörden

Bezüglich des Umgangs der Behörden mit der TRBS im Rahmen der Überwachung des betrieblichen Arbeitsschutzes ist zunächst festzustellen, dass auch der „klassische Arbeitsschutz“ trotz der Corona-Pandemie selbstverständlich weiterhin eine wichtige Rolle im Gerüstbau spielt. Auch wenn Baustellenkontrollen im Laufe des vergangenen Jahres pandemiebedingt etwas zurückgefahren wurden und Maßnahmen des Infektionsschutzes in den Vordergrund gerückt sind, betonen die Arbeitsschutzbehörden immer wieder, dass der gesamte Arbeitsschutz weiterhin zu beachten ist und überwacht wird.

Erkennbar ist, dass sich der zuvor genannte Rechtscharakter der TRBS 2121-1 auch im Verhalten der Arbeitsschutzbehörden bemerkbar macht. Juristisch ausgedrückt stellt die TRBS 2121-1 keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für das Verwaltungshandeln dar, auf deren Grundlage dem Arbeitgeber ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen abverlangt werden kann. Aus diesem Grund werden Ordnungs- und Bußgeldbescheide der Arbeitsschutzbehörden stattdessen auch ausnahmslos auf verbindliche Rechtsvorschriften, wie beispielsweise das Arbeitsschutzgesetz, die Betriebssicherheitsverordnung oder – im Fall der Beteiligung der BG BAU – die DGUV-Vorschrift 38 „Bauarbeiten“ gestützt.

Das heißt allerdings nicht, dass die TRBS 2121-1 in der Überwachungspraxis der Behörden keine Rolle spielt. Sie wird vielmehr als Ermessensgrundlage herangezogen, ihre Anforderungen also als Sicherheitsmaßstab zugrunde gelegt. Geht es beispielsweise um die Ermessensentscheidung, wie ein Absturzschutz im konkreten Fall auszusehen hat, orientiert sich die Behörde etwa an Abschnitt 4.2.2 Abs. 3 TRBS 2121-1 und vertritt die Ansicht, dass ein MSG oder ein vergleichbares Produkt (integrierbares Geländer) eingesetzt werden muss. Ganz wichtig ist hier, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt. Die Behörde erachtet das MSG (o.ä.) als angemessene Maßnahme im Einzelfall. Dieser Ermessensspielraum besteht aber auch auf Seiten des Arbeitgebers, der – sofern er dies in der Gefährdungsbeurteilung nachweist – alternative wirksame Arbeitsschutzmaßnahmen in Betracht ziehen kann (vgl. § 4 Abs. 3 Betriebssicherheitsverordnung).

Dass dem Arbeitgeber dieser Entscheidungsspielraum zusteht, ist den Behörden offenbar sehr wohl bewusst, es spiegelt sich in der Verwaltungspraxis wieder. Das MSG (o.ä.) und sein in der TRBS 2121-1 festgelegter, grundsätzlicher Vorrang vor der PSAgA treten in ordnungsrechtlichen Verfahren bisher kaum in Erscheinung. Den Arbeitsschutzbehörden geht es darum, dass (irgend-)eine wirksame Absturzschutzmaßnahme eingesetzt wird. Ob es sich dabei um technischen Schutz in Form eines MSG handelt oder um PSAgA, ist in diesen Ordnungsverfahren nicht von Bedeutung. Systematisch betrachtet wird diese Verwaltungspraxis dem reinen Empfehlungscharakter der TRBS gerecht.

Unsere Einschätzung ist daher, dass die TRBS bei der Beantwortung der Frage, ob ein Betrieb seine arbeitsschutzrechtlichen Pflichten erfüllt hat, grundsätzlich nur eine indirekte Rolle spielt. Die Behörden fordern nicht die „1 zu 1-Umsetzung“ der TRBS, sondern ziehen ihre detaillierten Regelungen lediglich als Auslegungsmittel der allgemein gehaltenen, übergeordneten Arbeitsschutzvorschriften heran. Hat ein Betrieb eine bestehende Absturzgefährdung durch ordnungsgemäßen Einsatz der PSAgA beseitigt, so hat er dadurch die vorgegebenen Arbeitsschutzziele erreicht. Dies wird unserer bisherigen Erfahrung nach von den Behörden als ausreichende Arbeitsschutzmaßnahme akzeptiert, unabhängig davon, ob auch ein MSG hätte verwendet werden können oder nicht.

Achtung:

Die in der TRBS 2121-1 enthaltene Systematik des Vorrangs des MSG vor der PSAgA wird wahrscheinlich dann relevant werden, wenn es um die Fallkonstellation geht, in der ein MSG einsetzbar ist, der Arbeitgeber sich aber stattdessen für PSAgA entscheidet und es trotz deren ordnungsgemäßer Verwendung zum Eintritt eines Personenschadens kommt (Regressfall). Der Arbeitgeber wird sich dann dem Vorwurf ausgesetzt sehen, dass der Schadenseintritt durch Verwendung des vorrangigen MSG hätte verhindert werden können. Er befindet sich dann in der schwierigen Lage, zu seiner Entlastung gegen die Vermutung aus § 4 Abs. 3 Betriebssicherheitsverordnung argumentieren zu müssen.

Sicherster Weg für den Arbeitgeber dürfte daher immer sein, die Vorgaben der TRBS umzusetzen. Denn dann hält er den von Betriebssicherheitsverordnung und TRBS vorgegebenen Idealweg ein und kann auch im unglücklichen Fall eines Schadenseintritts die genannte Vermutungswirkung für sich gelten lassen.
Dabei ist der Arbeitgeber natürlich auch auf die Mitarbeit seiner Beschäftigten angewiesen. Auch das beste betriebliche Arbeitsschutzsystem hat wenig Wirkung, wenn die betroffenen Arbeitnehmer es nicht umsetzen. Aus diesem Grund sieht das Gesetz auch umfassende Mitwirkungspflichten der Beschäftigten vor, die insbesondere beinhalten, die vom Arbeitgeber angeordneten Arbeitsschutzmaßnahmen durchzuführen (§ 15 Arbeitsschutzgesetz).

Fazit:

Auch wenn die Meinungen hierzu auseinanderfallen, hat sich die Situation im Gerüstbau durch die Neuauflage der TRBS 2121-1 verändert. Sie hat Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Preiskalkulation, das vertragliche Austauschverhältnis mit dem Auftraggeber und nicht zuletzt auf den Arbeitsschutz.

Besonderes Merkmal der TRBS ist ihr reiner Empfehlungscharakter, der sowohl Vor-, als auch Nachteile mit sich bringt: Positiv ist, dass dem Arbeitgeber dadurch ein Entscheidungsspielraum bei der Wahl der situationsabhängigen Arbeitsschutzmaßnahmen verbleibt. Negativ wirkt sich aus, dass die TRBS nicht „greifbar“ ist und ihre uneinheitliche Anwendung Wettbewerbsverzerrungen begünstigt.

Letztlich handelt es sich bei dem unglücklichen Zusammenspiel aus verschärften Arbeitsschutzanforderungen (und damit verbundenen Mehrkosten durch Investitionen sowie erhöhtem Logistik- und Montageaufwand) einerseits und der rechtlichen Unverbindlichkeit andererseits um einen Systemfehler, dessen Lösung die Urheber der überarbeiteten TRBS 2121-1 den Gerüstbaubetrieben schuldig geblieben sind.

Praxiserfahrung und Rechtsprechung müssen nun zeigen, wie mit der TRBS und den mit ihr verbundenen Unsicherheiten am besten umzugehen ist.

Die Bundesinnung für das Gerüstbauer-Handwerk setzt sich stets für einen effektiven und praxisgerechten Arbeitsschutz ein – eine Erwartung, die wir auch an die Arbeitsschutzbehörden im Gerüstbau stellen. Deren Aufgabe sollte jetzt sein, die Umsetzung der erforderlichen Schutzmaßnahmen flächendeckend zu kontrollieren, um unseriösen Unternehmen, die den Arbeitsschutz ignorieren, den Spielraum zu nehmen und somit einen Beitrag zu leisten, die bestehenden Ungleichheiten im Wettbewerb zu beseitigen.

 

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